Museen bieten einen Gegenpol zum hektischen Alltag. Dass sie nicht nur Bildungsstätten, sondern auch Räume gesellschaftlicher Fürsorge und seelischer Heilung sein können, will nun das Berliner Bode-Museum mit einem deutschlandweit einzigartigen Projekt zeigen.
Bevor María López-Fanjul in Saal 124 des Berliner Bode-Museums für das Gespräch ein Kissen auf den Boden wirft und sich hinsetzt, zieht sie erst einmal die Schuhe aus. „Die Leute sollen sich hier entspannen“, sagt sie. „Dafür kämpfe ich immer noch.“
Eigentlich ist López-Fanjul hier als Kuratorin verantwortlich für frühe moderne Kunst aus Italien und der Iberischen Halbinsel. Doch die Zusammenstellung aus Exponaten in ihrem neuen Projekt „Das heilende Museum“ macht schnell klar, dass sie darüber hinausdenkt.
Im neu gestalteten, zentral gelegenen Raum 124 nämlich ist neben Kunst des italienischen Barocks aus der eigenen Sammlung - darunter Skulpturen von Johannes dem Täufer, Herkules und Maria Magdalena - auch eine Figur ausgestellt, die auf den ersten Blick nicht hierher zu passen scheint: Buddha.
Verbindende Elemente zwischen den Weltanschauungen
Ihn trifft man hier gleich in mehreren Varianten an. Ein in Pakistan gefertigter Buddha aus Schiefer sitzt in der typischen Mediationshaltung, nur zurückhaltend lächelnd. Ein anderer Keramik-Buddha aus China dagegen lacht dem Betrachter offen und warm entgegen. Beide gehören zu den Leihgaben, die aus dem Museum für Islamische Kunst, dem Ethnologischen Museum und weiteren Häusern der Staatlichen Museen zu Berlin hierhergebracht wurden.
Was die auf den ersten Blick zusammenhanglos erscheinenden Werke eint: Alle stehen in Verbindung zur Geschichte meditativer Praktiken. Dabei gehe es nicht um kunsthistorische Zuschreibungen, sondern um den roten Faden der inneren Einkehr – durch Zeiten, Kulturen und Religionen hindurch, so López-Fanjul. Ob Christentum, Islam oder Buddhismus - meditative Techniken seien ein verbindendes Element zwischen den Weltanschauungen.
Ein Raum für mentale Gesundheit
Doch warum dieser Fokus in einem Museum, das sonst klassische europäische Kunst ausstellt? „Es ist meine Arbeit, meine Verpflichtung, Projekte anzustoßen, die relevant für die Gesellschaft sind“, sagt die Kuratorin, die vor vielen Jahren aus Madrid nach Berlin zog. Sie sei über eine prägende persönliche Erfahrung erst vor ein paar Jahren auf die Meditation gestoßen, erzählt López-Fanjul.
Mit dem von ihr ins Leben gerufenen Projekt verbindet das Bode-Museum nun erstmals drei Bereiche dauerhaft miteinander: Achtsamkeitsmeditation, Kunstgeschichte und medizinische Forschung.
Die Idee dahinter klingt zunächst ungewöhnlich, ist aber medizinisch gut belegt. Der Besuch von Kunstmuseen kann messbar zur seelischen Gesundheit beitragen. Kunstwerke wirken beruhigend, fördern Achtsamkeit und helfen beim Stressabbau. Und da Achtsamkeit – also die bewusste Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments - nachweislich positive Effekte auf das psychische Wohlbefinden hat, wird sie immer häufiger etwa bei Depressionen oder chronischem Stress erfolgreich eingesetzt.
In Kanada, Schweden, Belgien und Großbritannien und im schweizerischen Neuchâtel ist die sogenannte „Museumstherapie“ inzwischen Teil der medizinischen Versorgung – hier können Museumsbesuche bereits ärztlich verordnet werden.
Wissenschaft trifft Museum
Als López-Fanjul gemeinsam mit dem Meditationslehrer Reimar Wen Shen die Idee zum heilenden Museum entwickelte, war ihr klar: Viele Menschen würden dem Projekt skeptisch gegenüberstehen, es als esoterisch abtun. Also beschloss sie, die medizinische Wissenschaft ins Boot zu holen und startete eine interdisziplinäre Kooperation mit dem Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Delbrück-Centrums.
So ist eine Verbindung von medizinischer und kultureller Forschung entstanden, die in dieser Form bislang einzigartig ist. „Die Kolleginnen und Kollegen vom ECRC werden erforschen, welche Effekte Achtsamkeitsmeditation im musealen Umfeld bei chronisch erkrankten Menschen haben, die etwa an Multipler Sklerose leiden“, erläutert López-Fanjul.
Sie ist der Meinung: „Weder Wissenschaft noch Kunstgeschichtler sollten mit einem Tunnelblick arbeiten.“ Das Bode-Museum macht hier einen Schritt in eine neue Richtung. Es ist nicht nur Ausstellungsort, sondern wird auch zum öffentlich zugänglichen Forschungs- und Erprobungsraum.
Kunst als Spiegel der Menschlichkeit
„Das heilende Museum“ verpflichtet sich dabei der möglichst niedrigschwelligen Zugänglichkeit: Der in sanftem, waldigem Grün gehaltene Saal ist kein abgeschotteter Seminarraum, sondern ein offener Ort der Ruhe, der sich bewusst dem Thema psychische Gesundheit widmet. Meditationskissen laden zum bequemen Verweilen ein. Begleitend stehen als Übungen der Achtsamkeit geführte Meditationen auf Deutsch und Englisch zur Verfügung. Sie können kostenlos über den Audioguide und die Website des Museums oder auf dem Mobiltelefon abgerufen werden.
Die Ausstellung soll aber auch unsere Wahrnehmung von Geschichte hinterfragen. „Statt Krisen – Kriege, Seuchen, Umbrüche – ins Zentrum zu stellen, soll hier der Blick auf jene Techniken gelenkt werden, mit denen Menschen solche Krisen bewältigen konnten, sagt Kuratorin López-Fanjul. „Warum müssen wir unsere Geschichte ausschließlich über unsere negativen Erfahrungen erzählen? Warum erzählen wir nicht, was uns geholfen hat, Trost- und Hoffnungslosigkeit zu überwinden?“ Meditation sei immer ein Werkzeug der Selbstfürsorge gewesen – ein leiser, aber mächtiger Akt der inneren Widerstandskraft.
Und, so López-Fanjul, wer die teils viele hundert Jahre alten Objekte betrachte, der komme doch nicht umhin zu denken: „Was für ein Wunder - diese Figur gibt es allen Widrigkeiten zum Trotz bis heute. Was die geschafft hat, schaffe ich auch.“
Gesellschaftliches Statement
Museen waren während der Corona-Pandemie in Deutschland lange geschlossen. In anderen Ländern blieben sie offen – bewusst als Orte der Resilienz, der Besinnung und seelischen Erholung. Das Bode-Museum setzt mit seinem Projekt nun ein Zeichen: Museen sind nicht nur Bildungsstätten, sondern auch Räume gesellschaftlicher Fürsorge – die öffentlich, zugänglich und inspirierend sein sollten.
Auf Rezept verschrieben werden kann der Besuch im heilenden Museum zwar nicht. Mit Unterstützung etlicher Sponsoren kann das Bode-Museum der Öffentlichkeit aber 2.000 Freikarten zur Verfügung stellen. Das sei ein guter Anfang, so López-Fanjul. „Aber eigentlich sollten Museen kostenlos für alle zugänglich sein“, meint sie. „Auch wenn die Eintrittsgelder wegfielen - die positiven gesundheitlichen Effekte auf die Besucherinnen und Besucher würden sich letztlich doppelt und dreifach auszahlen.“
Alle Informationen zum Projekt „Das heilende Museum“ finden Sie hier.
Autorin: Nicole Sagener