Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen nehmen zu – die Arbeit von KJHG-Therapeuten*innen nach dem SGB VIII ist also wichtiger denn je. Wie steht es um Vergütung, Perspektiven und Netzwerke für KJP-Therapeut*innen in diesem Arbeitsfeld? Und welchen Stellenwert hat es in der aktuellen und veränderten Weiterbildung angehender Psychotherapeut*innen? Darüber sprechen im vierten Teil unserer Serie zur KJHG-Psychotherapie Anna Heike Grüneke aus dem Vorstand der PtK Berlin (Schwerpunkt KJP), Norbert Rosansky von der Berliner Akademie für Psychotherapie, Joachim Radtke vom Institut für Verhaltenstherapie sowie die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Simone Hoßbach.
Warum sind KJHG-Therapeut*innen unverzichtbar in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen?
Anna Heike Grüneke, Vorstand PtK: KJHG-Therapeuten*innen werden dringend gebraucht, denn Psychotherapie nach SGB VIII, wie sie in Berlin gesetzlich möglich ist, ist ein sehr wichtiger Baustein in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Berlin. Das zeigt auch die Studienlage von 2009 (Wirksamkeitsstudie Berliner Abgeordnetenhaus) und 2012 (WIMES – Evaluationsstudie), wonach die KJHG-Psychotherapie die effektivste und kostengünstigste Jugendhilfeleistung ist.
KJHG-Psychotherapien sind ein gutes Modell, denn sie richten den Fokus auf die Psychotherapie im Rahmen der Hilfen zur Erziehung. Hausbesuche, aufsuchende Arbeit in Schule und Jugendhilfeeinrichtungen sowie Vernetzungsarbeit sind konzeptionell angelegt.
Wie sehen Vergütung und Perspektiven in diesem Arbeitsfeld aus?
Anna Heike Grüneke: Ein großes Problem ist die Tatsache, dass KJHG-Psychotherapien unterfinanziert sind. Bei 25 bis 30 Prozent weniger Honorar wechseln die jungen Kolleg*innen nach ein bis zwei Jahren ins SGB V, sobald sie einen Praxissitz erhalten.
Diese Situation gefährdet die Versorgung nach KJHG von Kindern und Jugendlichen und deren Eltern in Berlin. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zunehmen. Derzeit sind in der psychotherapeutischen Versorgung circa 300 Kolleg*innen im Rahmen des KJHG therapeutisch tätig.
Wie unterstützt die PtK Berlin die notwendigen Veränderungen?
Anna Heike Grüneke: Bei einem Fachgespräch im Abgeordnetenhaus am 13. Februar 2024 hatte ich die Gelegenheit, für eine Verbesserung der Versorgung im KJHG zu plädieren und auf die Missstände aufmerksam zu machen. Darüber hinaus ist die PtK gut vernetzt mit anderen Institutionen wie beispielsweise den Kinder- und Jugendpsychiatrischen Diensten, Trägervereinen, aber auch den Senatsgremien und Aus - und Weiterbildungsinstituten.
Welchen Stellenwert nimmt die KJHG-Psychotherapie in der aktuellen und veränderten Weiterbildung angehender Psychotherapeut*innen ein?
Joachim Radtke, Institut für Verhaltenstherapie (Ausbildungsinstitut): Die Module der KJHG-Psychotherapie können derzeit im Rahmen der Ausbildung am IVB Berlin (Institut für Verhaltenstherapie Berlin) absolviert werden. Dies geschieht tendenziell rückläufig. Die Inhalte der zukünftigen Weiterbildung werden sich in erster Linie an den durch die Psychotherapeutenkammer Berlin vorgegebenen Weiterbildungsinhalten orientieren. Eine Integration der KJHG-Module scheint aber denkbar. Um die Möglichkeit des wertvollen Angebotes der „KJHG-Psychotherapien“ dauerhaft aufrechterhalten oder sogar erweitern zu können, bedarf es jedoch auch einer Veränderung der Vergütungssystematik, da diese derzeit nicht attraktiv ist.
Norbert Rosansky, Berliner Akademie für Psychotherapie (Ausbildungsinstitut): Die Ausbildung zum KJP an der Berliner Akademie für Psychotherapie (BAP) fokussiert sich gemäß dem gesetzlichen Auftrag auf die Heilbehandlung im Rahmen des SGB V. Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJPsychTh-APrV) vom 18. Dezember 1998 (BGBl. I, S. 3761) bestimmt die für die Approbationsprüfung notwendige Anzahl von Behandlungsfällen und Behandlungsstunden im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung des SGB V.
Hierzu ergänzend folgen wir der Berliner Versorgungssituation mit einem qualifizierenden curricularen Angebot für Psychotherapie im Rahmen des SGB VIII (auch „KJHG-Psychotherapie“ genannt). Wir haben die dazu notwendigen Module in unser Ausbildungscurriculum integriert. Zudem hat die BAP einen Trägervertrag mit der Senatsverwaltung abgeschlossen, der auch Ausbildungsteilnehmer*innen als Behandler*innen die Durchführung von KJHG-Psychotherapien in den Behandlungsräumen der BAP ermöglicht. Zur besonderen Supervision für dieses Arbeitsfeld stehen von der Psychotherapeutenkammer Berlin zertifizierte KJHG-Supervisor*innen zur Verfügung.
Wie steht es um die Weiterbildung nach dem „Gesetz über den Beruf des Psychotherapeuten“ von 2019?
Norbert Rosansky: Diese befindet sich noch im Aufbau. Wir sind zwar als BAP für die Gebiete Erwachsene und Kinder und Jugendliche als Weiterbildungsstätten von der Psychotherapeutenkammer anerkannt, eine Finanzierung der Weiterbildung ist jedoch nicht in Sicht. Im Gegensatz zur Ausbildung werden die Weiterbildungsteilnehmer*innen angestellt und die Kosten der Weiterbildung müssen die Weiterbildungsstätten tragen. Mit dem Fehlen dieser entscheidenden Grundvoraussetzung sind inhaltliche Planungsschritte wesentlich erschwert.
Gleichwohl ist unser Bestreben im Gebiet Kinder und Jugendliche, den künftigen Fachpsychotherapeuten für Kinder und Jugendliche so auszubilden, dass weiterhin Behandlungen im Rahmen des SGB VIII möglich sind. Ob, zu welchem Honorarsatz und unter welchen Voraussetzungen KJHG-Behandlungen im Rahmen der Weiterbildung möglich sind, (oder erst nach der Prüfung als Fachpsychotherapeut*in) muss geprüft und konkret verhandelt werden. Wir sind als BAP dazu gern bereit.
Gibt es ein Netzwerk für KJHG-Therapeut*innen?
Simone Hoßbach, KJP: Die Vernetzung von KJHG-Therapeut*innen ist nicht so leicht organisierbar. Jedoch wünschen sich Kolleg*innen, die in diesem Bereich tätig sind, Austausch und kollegiale Unterstützung. Die Vernetzung ist für die meisten ein wichtiger Bestandteil, um die speziellen Anforderungen und die oftmals mühsame Kommunikation mit Amtsstellen zu bewältigen.
Wie kommen interessierte Psychotherapeut*innen in den Austausch – und warum ist das wichtig?
Simone Hoßbach: Da es bisher keine für alle einsehbare zentrale Liste aller KJHG-Therapeut*innen in Berlin gibt, bleiben eigeninitiierte Qualitätszirkel oder Austauschtreffen oftmals unbekannt. Diese Lücke versucht der Verband für Psychotherapie in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe e. V. zu schließen. Dieser bietet Kolleg*innen eine Plattform für Austausch, berufspolitische Informationen und Unterstützung bei administrativen Fragen oder auch der Konfliktklärung.
Ein praxisnahes Beispiel für die Alltagsrelevanz des Zusammenschlusses der KJHG-Psychotherapeut*innen ist die Möglichkeit, einen Energiekostenzuschuss aus dem vergangenen Jahr über den Berliner Senat zu beantragen. Die Einzelpraxisinhaber*innen wurden vom Senat nicht darüber informiert, dass sie auf der Grundlage ihres Trägervertrags diesen Zuschuss hätten beantragen können. Dadurch haben die meisten KJHG-Psychotherapeut*innen diese deutliche Entlastung durch den ihnen zustehenden Zuschuss nicht abrufen können. Dies macht noch einmal deutlich, wie wichtig kollegiale Vernetzung in diesem komplexen Arbeitsfeld ist. Hier sieht der Verband seine Hauptaufgabe, die Vernetzung der Einzelpraxen zu unterstützen und den gegenseitigen Austausch zu fördern.
Am 21. März 2025 fand der von der Kommission KJHG organisierte und durchgeführte Fachtag „KJHG: Potenziale – Herausforderungen – Grenzen“ statt. Die gut besuchte Veranstaltung hatte das Ziel, Raum für Austausch und Vernetzung zu bieten, aber auch konstruktive Verbesserungsvorschläge für das Arbeitsfeld KJHG zu entwickeln. Eine Präsentation zu den Ergebnissen des Fachtages ist in Arbeit. Wir werden entsprechend informieren.