Viele Menschen aus dem queeren Spektrum treffen auf der Suche nach einer Psychotherapie auf Kolleg*innen, die im Umgang mit trans* und nichtbinären Patient*innen unerfahren sind, so Gisela Fux Wolf. Hier spricht Fux Wolf darüber, wie spezifisches Wissen helfen kann, Unsicherheiten abzubauen. Und warum eine respektvolle Lernoffenheit unerlässlich ist.
Gisela Fux Wolf ist Psychologische_r Psychotherapeut_in und arbeitet verhaltenstherapeutisch mit erwachsenen Personen, überwiegend aus dem queeren Spektrum. Fux Wolf ist Mitglied im Berliner Gesundheits-Netzwerk Transidentität, in der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie und im Fachverband für queere Menschen in der Psychologie e. V.
Sie arbeiten in der psychotherapeutischen Praxis mit vielen trans* und nichtbinären Patient*innen und bieten in der PtK dazu eine Fortbildung an. Warum ist es wichtig, Psychotherapeut*innen für dieses Thema zu sensibilisieren?
Gisela Fux Wolf: Zum einen wird das Thema der psychotherapeutischen Arbeit mit erwachsenen trans* und nichtbinären Patient*innen bislang kaum in den Approbationsweiterbildungen berücksichtigt. Es gibt zwar einige Institute, die dieses Themenfeld gezielt abdecken und die Bundespsychotherapeutenkammer bemüht sich sehr, weitere Angebote anzuregen. Aber da es in der Ausbildung bisher fehlt, treffen viele behandlungssuchende trans* und nichtbinäre Menschen auf Kolleg*innen, die letztlich am Beispiel ihrer Patient*innen lernen, wie sie mit diesem Themenfeld umgehen.
Was ist besonders an der Arbeit mit transidenten Menschen?
Man muss unter anderem einen professionellen Umgang und Wissen haben zu körpermodifizierenden Behandlungen, die die Patient*innen oft brauchen. Zudem brauchen wir gutes Wissen über trans* und nichtbinäre Lebensweisen und deren soziokulturelle Einordnung in Deutschland. Und das bedeutet – wie bei der Psychotherapie mit allen minorisierten Personen – dass wir auch mit Diskriminierung, Anfeindungen und Gewalt gut umgehen müssen, die diese Menschen oft erleben. Und das leider auch im Gesundheitssystem.
Diskriminierung kann auch in der Psychotherapie stattfinden …
Die Diskriminierungsrate im Psychotherapiekontext ist leider hoch. Das umfasst etwa eine invasive Neugier des*der Therapeut*in zu sexuellen Aspekten, eine starke Distanzierung gegenüber dem*der Patient*in oder auch Entwertung oder Belästigung. Und was leider auch häufig passiert ist, dass Kolleg*innen sich aus Unwissenheit weigern, die Indikationsstellungnahmen zu schreiben, die die Person für die Körpermodifikation braucht. Kurzum, es gibt Kolleg*innen, denen das Wissen fehlt. Und natürlich gibt es auch in unserem Berufsstand Menschen, die trans*feindlich sind. Darum ist es wichtig, den Patient*innen zu Beginn transparent zu erklären, was in der Therapie passieren wird. Das kann Misstrauen rasch abbauen.
Welche Rolle spielt die Psychotherapie in der Gesundheitsversorgung für trans* und nichtbinäre Personen?
Erst einmal muss man sagen, dass Diskriminierung und Gewalt, wie sie allen minorisierten Menschen häufiger widerfährt, nicht gesund ist. Das zeigt sich auch in den epidemiologischen Befunden. Trans* und nichtbinäre Menschen haben, ähnlich wie etwa von Rassismus betroffene Menschen, eine höhere Belastung an Folgeschäden, die sich auf Diskriminierung und Gewalt zurückführen lassen. Die Prävalenz für Symptome von Ängstlichkeit, für Traumafolgestörungen, Depression und Suizidalität sind bei diesen Gruppen erhöht. Darum haben diese Menschen auch einen erhöhten und entsprechend spezifischen Therapiebedarf.
Der zweite Punkt ist: Die aktuellen Gegebenheiten der deutschen Gesundheitsversorgung fordern von den Betroffenen eine Psychotherapie, wenn sie körpermodifizierende Behandlungen vornehmen lassen wollen. Wir wissen, dass bei diesen Menschen geschlechtsangleichende körpermodifizierende Behandlungen zu einem deutlich größeren Wohlbefinden führen. Doch durch die Richtlinien wird auch von Menschen ohne seelisches Leiden gefordert, eine Psychotherapie in Anspruch zu nehmen.
Wie gehen trans* Patient*innen mit dieser Vorgabe um – empfinden sie sie als belastend?
Natürlich wird ein seelisch vollkommen gesunder Mensch erst einmal skeptisch vor dem*der Psychotherapeut*in sitzen. Diese Stunden bedeuten ja auch Lebenszeit. Und es bedeutet, dass die Person noch länger auf die körpermodifizierende Behandlung warten muss.
Außerdem bringt das die Psychotherapeut*in in ein Dilemma: Wir wissen, dass es sehr viele trans* und nichtbinäre Menschen in Berlin gibt, die eine Psychotherapie aufgrund von seelischem Leiden dringend brauchen. Gleichzeitig müssen wir Menschen ohne seelische Leiden in Behandlung nehmen, damit sie Zugang zu körpermodifizierenden Behandlungen bekommen können.
Wie groß ist der Anteil trans* und nichtbinärer Menschen, die therapeutische Hilfe aufgrund von seelischen Leiden suchen?
Etwa 0,5 Prozent der Erwachsenen setzt sich laut Studien mit Transition und Körpermodifikationen auseinander. Das wären in Deutschland aufgrund der Richtlinien des Medizinischen Dienstes alles Personen, die in eine Psychotherapie gehen müssen. Aus dieser Gruppe haben 70 Prozent auch Bedarf nach einer Richtlinienpsychotherapie, während etwa 30 Prozent ohne seelische Leiden für ein halbes Jahr bis ein Jahr eine Psychotherapie in Anspruch nehmen müssen.
Mit welchen Fragen sollten sich Psychotherapeutinnen auseinandersetzen, die trans* und nichtbinäre Menschen begleiten?
Aus meiner Perspektive kann man sich viel Fachwissen anlesen. Wer sich über die Leitlinien im Themenfeld sowie im Kontrast dazu auch über die Richtlinien des Medizinischen Dienstes und die Bedingungen der Kostenübernahme in Deutschland bei Wunsch nach Körpermodifikationen informiert, hat schon gute Basiskenntnisse. Natürlich gibt es auch Patient*innen, die etwa in ihren Herkunftsfamilien oder im schulischen Kontext über viele Jahre Gewalt erfahren haben und sich mit Suizidalität beschäftigen müssen – das sind komplexere Fälle.
Können Psychotherapeut*innen bei Unsicherheiten auf ein gutes Netzwerk zurückgreifen?
Dafür gibt es in Berlin kollegiale Vernetzungen, in denen man sich an Einzelfällen weiterbilden und sich gegenseitig unterstützen kann. Es gibt verschiedene Intervisionszirkel, spezifische Qualitätszirkel, in denen auch überschneidenden Themen wie etwa trans* und Autismus besprochen werden, supervisorische Angebote und Gruppen. Dadurch sind wir in Berlin ein lernendes System. Aber auch bundesweit gibt es gute Online-Vernetzungen, etwa den Fachverband für queere Menschen in der Psychologie.
Was haben Sie persönlich gelernt im Umgang mit trans* und nichtbinären Patient*innen?
Vor allem müssen wir eine respektvolle Lernoffenheit pflegen – gerade in Themenfeldern, die sehr verwoben sind mit gesellschaftlicher Unsichtbarmachung. Auch wenn man sehr viel zu dem Thema weiß, wird das immer nur ein kleiner Teil der Welt sein, die vor uns liegt. Wir brauchen therapeutische Demut.
In der Fortbildung werden darum grundlegende Kenntnisse zu den Themen vermittelt, wobei der Schwerpunkt auf der Erarbeitung einer therapeutischen Haltung liegt. Diese Haltung soll es Psychotherapeut*innen ermöglichen, trans* und nichtbinären Patient*innen respektvoll, transparent und auf Augenhöhe zu begegnen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Nicole Sagener
Hinweis: Die Veranstaltung „Aspekte der psychotherapeutischen Arbeit mit erwachsenen trans* und nichtbinären Klient*innen“ findet am 03. April und am 15. Mai 2025 in der PtK Berlin statt.